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Über Mich von Dr. Birgit Möckel

Ferne Nähe

Gratwanderungen

von Dr. Birgit Möckel

Weitgehend aufgelöst in lichte und dunkle Schattenzonen und durchzogen von feinen signalroten Linien, spüren die aktuellen Arbeiten von Frauke Danzer der Dynamik schwindender Gletscher nach. Behutsam tastend folgen ihre linearen Konturen den charakteristischen Strukturen der alpinen Landschaft, eingebettet in dunkeltonige Papier-fragmente, die sich wie zufällige Schlagschatten, raue Felskanten, tief verschattete Steilwände oder sanfte Hügelformationen mit der Leinwand verbinden. Mit diesen partiellen Décollagen und einem damit verbundenen Abstraktionsprozess entzieht die Künstlerin ihren Gebirgsansichten jegliche Schwere und Monumentalität, ohne dass die Werke an Substanz verlieren. Im Gegenteil: zeigt sich doch in den Leer- und Zwischenräumen und den damit dezidiert aufgezeigten „Fehlstellen“, mehr noch als in jeder fotografischen Dokumentation, jene unaufhaltsame und tiefgreifende Veränderung einer Region, deren fragiles Gleichgewicht sich in den „aussterbenden Arten“, so das Thema der Bildfolge, darstellt.

Entlang ferner Bergspitzen, Täler und Gipfel, wandert der Blick über detailreich markierte Horizontlinien und Landschaftsausschnitte. Farbig hervortretende Mar-kierungen begrenzen und entgrenzen, indem sie vereinzelte Eis- und Schneefelder inmitten der kargen, hochalpinen Landschaft wie Inseln umreißen und damit individuell verorten. Mit Nachdruck bleibt die Künstlerin dem Fließen von Gletscherzungen, Muren und Lawinen auf den Fersen, hält deren Verlauf (seismo)graphisch fest, bevor sie sich gänzlich verlieren. Von zurückhaltend gesetzten linearen Kürzeln, sich verdichtenden Fährten bis zu fortschreitenden, talwärts drängenden, glühend roten Farbfeldern zeigt sich die Dynamik und nicht zuletzt Dramatik dieser Prozesse. Ob in leisen Tönen oder kraftvoll ins Bild gesetzt, unübersehbar heben sich die sorgsam aufgezeichneten Bewegungs-muster, Gesteins- und Gletscherstrukturen von der stillen Winterlandschaft ab – als weithin sichtbare Gratwanderung, die mit Achtsamkeit Gesehenes und Erinnertes reflektiert und die Verletzlichkeit der Natur und damit auf das engste verbundener Ökosysteme manifestiert. 

Unaufhaltsam scheint der Klimawandel. Gletscher schmelzen, Felsstürze, Erdrutsche und Gerölllawinen mehren sich mit zunehmendem Starkregen, dem die Böden oft haltlos ausgeliefert sind und im schlimmsten Falle mit sich reißen, was sich der immensen Kraft von Lawinen entgegenstellt. Diesen Naturgewalten zu entkommen gelingt nur in Gedanken oder mit der Imaginationskraft der Künstlerin, die einen massiv scheinenden Gipfel vereinzelt und von der Schwerkraft befreit, als tatsächliche „Erhebung“ präsentiert und kurzerhand in luftiger Höhe schweben lässt. Ein fundamentaler Eingriff und Perspektivwechsel, der den vermeintlich monumentalen Berg zur Hülle verwandelt und ihn auf Augenhöhe mit einem Schwarm kreisrunder Pergamentpapiere hebt. Diese nicht zuletzt zur Stabili-sierung behutsam geknitterten, federleichten Topographien rotieren bei jedem Hauch um die eigene Achse und führen damit die ihnen akkurat eingezeichneten Wanderwege Kärntens ad absurdum – findet sich doch so Anfang und Ziel einer Wegstrecke an immer neuen Koordinaten und führt in alle Himmelsrichtungen. Wo bleibt die Orientierung? „Fliegende Welten. Wanderungen in Gedanken“ lautet der Titel dieses so leichtfüßigen wie weit tragenden Objektes, das mit den eingeschriebenen Wegenetzen nicht zuletzt wieder zurück zur Erde, zur Natur, zu Wachstum und wiederkehrenden Metamorphosen führt.

 

In zufälliger Ordnung auf dem Boden verteilt, lenken zarte Hüllen aus sorgsam festgezurrtem, ebenfalls mit Weg-strecken markierten Pergament den Blick unweigerlich auf ihr Innenleben. Unübersehbar, in anziehendem Rot, keimt dort ihr Potential und führt an feinen Fäden hin zu nicht minder energiegeladenen, goldglänzenden (Pollen)Körpern, die wie reife Samenkapseln neues Wachstum versprechen. Frauke Danzers raumgreifende Installation „Growth and Expansion“, die die Bildfolge dieses Bandes gleichsam umrahmt, zeigt in Analogie zu naturnahen Prozessen einmal mehr fortdauernde dynamische Entwicklungen, verbunden mit existentiellen Fragen und universellen Zusammenhängen – vom Keimling in der Erde bis in die höchsten Höhen ferner Alpenregionen und weit darüber hinaus. 

Seit Beginn ihres Schaffens ist das Werk der Künstlerin von großer Aufmerksamkeit gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen, der Umwelt und deren Wirkung auf den Menschen geprägt. Larvengleiche Mutanten entpuppten sich einst als Warnung vor genetischen Veränderungen von Lebewesen, evozierten zeitenübergreifende Gedankenspiele von antiken Fruchtbarkeitskulten bis hin zu heutigen Reproduktionsmethoden. So grotesk wie tragisch anmutende skurrile Mischwesen oder Chimären verwiesen auf die Folgen von Genmanipulationen. Abgelöst wurde diese eindrückliche Reihe durch eine Werkgruppe archaisch anmutender hybrider Gefährte als universelle Sinnbilder für anhaltende Fluchtbewegungen der Menschheit, vor Kriegen, Hunger oder Umwelt- und Klimakatastrophen. Papier, als fragiles, verletzbares Material wurde mehr und mehr zum sprechenden Träger dieser in viele Richtungen wandernden Gedanken um existentielle Fragen. Wie gefährdet die Welt ist, wird mit jeder Hülle, jedem Abriss auf der Leinwand greifbar. Leise, nachhaltig und umfassend zeigt sich im Oeuvre der Künstlerin die universelle Suche nach Schutz und Behausung, nach einem Leben im Einklang mit der Natur. Unwegsam wie Saumpfade schimmern neue Spuren in den aktuellsten Werken der hier vorgestellten Bildfolge. Sie zeigen „Zukunft“ - zumindest in der (Bild)Wirklichkeit.                                                                                                                        

 

                                           

 

                                     

Zu den Papierarbeiten von Frauke Danzer 

von Dr. Birgit Möckel

Erdenschwere ist den Objekten von Frauke Danzer fremd. Befreit von jeglichem Ballast nehmen die luftigen Hüllen Fahrt auf. Getragen von federleichten Rotoren flattern sie über ihren Nestern, steigen als bildgewordene Ideen und raumgreifende Luftschlösser in den Himmel, formieren sich zu so archaischen wie modellhaften Hybriden und schwärmen mühelos in jedwede Richtung aus. Irgendwo zwischen Himmel und Wasser, von leisesten Strömungen und seismographischen Wellen getrieben, finden sie ihren Weg. 

Bewegung ist das tragende Element jener gleichsam verpuppten Gefährte und Gefährten. So fragil und verletzbar sie mit ihrer hellen Haut auch erscheinen, so standhaft verfolgen sie ihr Ziel und steuern in ein fernes Universum, hoch oben oder inmitten dieser Welt, hin zu einsamen Inseln als Rückzugs- und Zufluchtsorte für das freie Spiel der Gedanken, die durch Liniennetze und feine Verästelungen miteinander verwoben sind. Oder ist das Ziel längst erreicht und sind die leeren Hüllen umfassende Zeugnisse  ihrer eigenen Metamorphose? Abwesenheit und Anwesenheit finden in den als lichte Hohlräume gebauten Hüllen zusammen und stellen Fragen nach dem Kern und Inneren dieser Körper und ihren Trieb- und Antriebskräften.

Detailreich ausgeformt und doch immer skizzenhaft umschließen die Papierhäute partiell ihr zartes Drahtgerüst, lassen es als konstruktives Element durchscheinen, um es an anderer Stelle zu freien Linien im Raum zu öffnen, die das transitorische Element jener mobilen Zwitter betonen oder die fragile Hülle durchstoßen und mit ihren rauen Spitzen für schützende Distanz sorgen, während das eiserne Material bereits Spuren von Rost und Vergänglichkeit in das Papier einschreibt. Blutrote Adern im papierenen Fond senden leuchtende Signale, verweisen auf lebendige Impulse und Energieströme in den (Kleider)hüllen, die sich immer neu aus ihrer Starre zu befreien scheinen und sich von jeglicher Schwerkraft und Bodenhaftung lösen - und seien dies nur festgefahrene Gedankenmuster. 

Beziehungsreich wie diese Formen Körper nachzeichnen, stellen auch die Zeichnungen oder Reliefs aus geschichteten Papieren Fragen nach dem Erleben zwischen Realität, Erinnerung und Traum. Immer wieder setzt die Farbe Rot ein Signal im graphischen Schwarzweiß, verbindet kraftvoll zeit-räumliche Grenzen und lenkt den Blick auf dialogische Zusammenhänge von außen 

und innen als elementare und umfassende Prozesse, die den Menschen innewohnen und begleiten.

Frei nach Michel de Montaigne, der mit seinen Ende des 16. Jahrhunderts erschienenen „Essais“ eine so offene wie prozesshafte Form fand, Gedanken ihren Lauf zu lassen und Ideen aus jedweder Perspektive zu umkreisen, zeichnet die Künstlerin mit ihren aktuellen Papierarbeiten mehrdimensionale Metaphern für Denkräume aus heutiger Sicht. Mit der Lektüre von Montaignes Schriften begann für Frauke Danzer eine fiktive Reise in jenes Schloss bei Bordeaux, das dem französischen Philosophen als Rückzugsort und „Schreibinsel“ diente. Als blinde Flecken einer Karte, umrissene Topographien in einem leeren weiten Raum oder einem aus Seiten der berühmten Schrift geformten Eiland, das sich als rotierende Landschaft von festen Koordinaten befreit, zeigen sich die aus Papier collagierten Inselträume und Reiserouten. Mit ihnen knüpft die Künstlerin an die historischen Reisen an, um nicht weniger als aktuelle Bilder ins Gedächtnis zu rufen, die an Auswanderung und Migration erinnern und heutige Passagen in ein vermeintliches  Paradies abbilden. 

Bei aller Stille und feinen Poesie, die die Objekte von Frauke Danzer auszeichnen, sind die Arbeiten doch immer auf das engste mit der Realität verbunden.  Wie ihre grotesken Chimären stellen auch diese Hybriden Fragen nach der Existenz eines jeden Individuums: dem was ist, was die Hülle schützt, verbirgt oder vorgibt zu sein. Wo beginnen, wo enden Normen? Womit werden Konventionen tradiert und konserviert? Was bewahren die sorgsam als „Natura Morta“ in kastengleiche Rahmen drapierten Stillleben? Welcher inneren Choreographie folgen die punktuellen topologischen Setzungen aus Bild, Struktur, Material und Raum?

 

Jedes Kapitel einer „Reise in die Vergangenheit“ führt immer auch in die Gegenwart. Ob eingeschlossen in gläserne Käfige oder befreit aus ihren schützenden Gehäusen bleiben die „Helden des Himmels“ wie all ihre chimärengleichen Vorfahren Fremdlinge, die sich immer neu ihr fragiles Terrain abstecken, um sich die Welt anzueignen  - getragen vom leisesten Hauch, hochfliegenden Träumen und ganz realen Bildern  - und auf Dauer eingeschrieben in diese Objekte aus Papier.

                                                                                                                                     

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